Diese Stadt begrüßt mit Nieselregen. Schon auf der Gangway weht einem feuchter Wind entgegen. Hab ich Dublin jemals anders erlebt als unter einer grauen Wolkendecke?
Niemand scheint hier verhehlen zu wollen, dass es nicht warmes Sommerwetter ist, was Touristen in die dicht gepackten Straßen der Hauptstadt Irlands zieht. Ganze Heerscharen an Touristen: Kanadisches und amerikanisches Englisch hab ich hier schon gehört, und vom Unterschied nur durch Nachfragen gewusst; Irisch ist natürlich allgegenwärtig, mit diesem harten Zungenschlag, bei dem die Zunge sich einzurollen und dann Katapult-artig zurückzuschnellen scheint, aber auch Französisch, Spanisch und Polnisch; und einmal, an einer Straßenkreuzung, hörte ich einem Ehepaar dabei zu, wie es der Lieblingsbeschäftigung der Deutschen nachging – sich zu beschweren. In lupenreinem Sächsisch jedoch, weshalb ich bis heute nicht ganz sicher bin, ob der Grund ihrer Erregung tatsächlich der scheinbar ungeregelte Dubliner Verkehr gewesen war. Sächsisch ist mir fast ebenso fremd wie Gälisch.
Nein, das Wetter ist es nicht. Auch der Werbefilm für Burgen, geschichtsträchtige Straßen und Bustouren mit eigens angeheuerten Schauspielern, der im Flughafenbus von tristen Tunnelröhren ablenkt, beinhaltet nicht ein einziges Bild von Dublin im Sonnenschein. Etikettenschwindel kann man ihnen also nicht vorwerfen, den Dublinern.
Es ist etwas anderes, was uns hier alle hinzieht. Und als ich später nach einem Essen bei Burger King an meinem Tisch sitze, an einer Cola nippe und nach draussen in den dunkler werdenden Abend blicke, bemerke ich es wieder: diese Vitalität, diese Aufbruchsstimmung. Nicht nur in den vorbei hastenden Menschen und in dem unübersichtlichen Verkehr, hier an der O’Connell Street, nahe der viel besungenen Liffey. Überall wird gebaut, meist Modernes, Neues. In dieser Stadt kann man förmlich zugucken, wie sich Euros materialisieren – die neue Währung das Fundament für ein Gebäude, in das es Menschen aus aller Welt zieht: Den Busfahrer mit afrikanischem Akzent, den Flughafenangestellten aus Arabien, den Supermarktbesitzer aus Indien. Und die Burger King-Angestellte, bei der ich mein Menü kaufe, die Heidi Han heisst und auch sonst ganz europäisch-asiatische Freundlichkeit ist. Geboren in China, sei sie erst vor fünf Jahren mit ihrem Bruder nach Irland gekommen. Wegen dem Geld: Euros, sagt Heidi und lacht. Ein paar Jahre noch müsse sie das hier machen, Burger braten, einwickeln und in Tüten packen. Dann wolle sie studieren, Wirtschaft. Dublin sei doch das Herz Europas, sagt Heidi, in ihrem leicht singenden Englisch. Hier habe sie eine Zukunft.
Neben Heidi Hans Zukunft ist auch die Vergangenheit noch da, das Katholische der Stadt, natürlich: Dublins Kirchen und der tagsüber meist überlaufene Campus des Trinity College, in den Abendstunden eine dunkle Oase neben den lauten Kneipen des Temple Bar-Distrikts. Die vielen Gedenktafeln, überall in der Stadt, erinnern an ihre bewegte Geschichte, an all die nunmehr himmelgrauen Gebäude, in denen das Blut der Revolutionäre floss und von denen aus der Ruf gegen das übermächtige Empire erging. An diesem Sommerabend laufen unter den strengen Blicken der Steinstatuen von Parnell und O’Connell aufreizend knapp bekleidete Mädchen durch die Stadt und feiern enthemmt ihren Schulabschluss. Eine Gruppe Jungs pfeift das universale Lied jugendlicher Kontaktbereitschaft, ein paar ältere Leute schimpfen laut hinter ihnen her. Doch man denkt an die Circe-Episode in Ulysses – an die Dirnen, mit denen Joyces alter ego Stephen gefeiert hat – und betrachtet den Sex und die Freizügigkeit nicht mehr als einen Widerspruch zum Katholizismus der Dubliner.
Wie aber sieht all das der muslimische Sicherheitsmann bei Burger King, der an ein Geländer gelehnt steht, die Mädchen beobachtet und Text-Nachrichten in sein Handy tippt? Beschreibt er einem Freund die Gottlosigkeit des Westens? Oder seiner Freundin, was sie an diesem Abend tragen solle? Dublin ist heute ebenso Schmelztiegel und Kristallisationspunkt verschiedener Kulturen wie noch zu Joyces Zeit. Und damit ist die Stadt vor allem eines: irisch. Denn das hieß schon immer: kosmopolitisch. Und auch: europäisch.
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