Writer, Teacher, Musician

Month: October 2009

Ein Seitenblick

Die Wangen von Ingeborg Bremer, unserer Institutssekretärin, schimmern rötlich durch eine dicke Schicht Make-up. Sie fährt flüchtig über ihre aufgetürmten Haare und flötet:

– Ja, ganz recht! Aber dass sie das bemerkt haben, Rudolf…

Frau Bremer geht pünktlich zum Monatsanfang zum Friseur, und ebenso pünktlich am Tag darauf erwähne ich beiläufig meine Überraschung ob ihrer hochtoupierten Haare: Inge, waren Sie etwa kürzlich bei einem Coiffeur? Heute aber muss ich unser Spiel jäh unterbrechen:

– Haben Sie Lina gesehen?

Der Teint der Sekretärin wird wieder teigig. Sie wendet sich ihrem Schreibtisch zu und tut das, was Sekretärinnen tun: die Hämmerchen ihrer Schreibmaschine gegen ein Farbband knallen, ungerührt kalten Kaffee trinken, Auskünfte erteilen:

Fräulein de Winter ist vor ungefähr zehn Minuten in den Hof gegangen.

Der Aufprall

Ein Raumschiffstart ist eine komplizierte Angelegenheit. Man sitzt quasi auf einem Pulverfass, und alles muss genau abgestimmt sein für den großen Knall, der dich hinauf in die Sterne schießt. Armstrong, vor ein paar Wochen, hatte ein Heer an Technikern. Ich dagegen habe keinen einzigen.

Die Steine sind noch warm von der Sonne des Tages. Ich lehne mich gegen einen von ihnen und lege meinen Arm um Bea. Unsere Zehen graben sich in den Sand, bis in tiefere, kühlere Schichten hinein. Die Ostsee ist jetzt, am frühen Abend, hinter ein paar Sandbänke zurückgetreten, die wie Schultern vergrabener Riesen aus dem Wasser ragen. Kinder laufen darüber, patschen durch den nassbraunen Sand, und jauchzen beim Anblick jedes neu entdeckten Krabbeltieres. Ihre sanft eingedrückten Spuren mischen sich mit den Abdrücken von Möwen, die vor dem Geschrei in die Luft flüchten, hinauf, über schlafende Boote und Bojen.

Mit Heidi Han im grauen Herzen Europas.

Diese Stadt begrüßt mit Nieselregen. Schon auf der Gangway weht einem feuchter Wind entgegen. Hab ich Dublin jemals anders erlebt als unter einer grauen Wolkendecke?

Niemand scheint hier verhehlen zu wollen, dass es nicht warmes Sommerwetter ist, was Touristen in die dicht gepackten Straßen der Hauptstadt Irlands zieht. Ganze Heerscharen an Touristen: Kanadisches und amerikanisches Englisch hab ich hier schon gehört, und vom Unterschied nur durch Nachfragen gewusst; Irisch ist natürlich allgegenwärtig, mit diesem harten Zungenschlag, bei dem die Zunge sich einzurollen und dann Katapult-artig zurückzuschnellen scheint, aber auch Französisch, Spanisch und Polnisch; und einmal, an einer Straßenkreuzung, hörte ich einem Ehepaar dabei zu, wie es der Lieblingsbeschäftigung der Deutschen nachging – sich zu beschweren. In lupenreinem Sächsisch jedoch, weshalb ich bis heute nicht ganz sicher bin, ob der Grund ihrer Erregung tatsächlich der scheinbar ungeregelte Dubliner Verkehr gewesen war. Sächsisch ist mir fast ebenso fremd wie Gälisch.

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